Der Lichtdruck und die Leipziger Kunsthochschule

Von Julia Blume, Leiterin des Instituts für Buchkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig

Ich möchte in meinem Vortrag die Technik des Lichtdruckes im Wechselspiel mit der Leipziger Kunstakademie, die in diesem Jahr 250 Jahre alt wird, vorstellen. Eine der ersten Anwendungen des Lichtdrucks in einer Veröffentlichung war zugleich epochemachend. Robert Koch nutzte (1877) den Lichtdruck zur Reproduktion von Mikrofotografien, die von beeindruckender Detailgenauigkeit waren und damit als neues bildgebendes Verfahren mit zur Verbreitung aktuellster wissenschaftlicher Erkenntnisse beitrugen. Dass im Falle Kochs Gelatine zur Züchtung von Bakterienkulturen verwendet wurde und Gelatine im Lichtdruck für die Druckfläche eingesetzt wird, mag eine nebensächliche Verbindung sein. Die Leipziger Buch- und Druckereibetriebe standen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts unter Erfolgsdruck. Die Konkurrenz in Süddeutschland und Berlin war groß. Es galt, neueste Technik mit gestalterischer Qualität zu verbinden. Dafür taten sich die Leiter der Verlage und Betriebe, u.a. auch des Betriebes C.G. Röder, 1868 im „Centralverein für das Deutsche Buchgewerbe“ zusammen und forderten in ihrer Denkschrift von 1884 unter anderem ein akademisches Ausbildungsinstitut, in dem modernste Reproduktionsverfahren gelehrt und erprobt werden können. Die Leipziger Kunstakademie hatte gerade einen Reformprozess durchlaufen und war nun unter dem Direktor Ludwig Nieper gut aufgestellt, allerdings unter nur marginaler Berücksichtigung der Interessen des Buchgewerbes. Das sollte sich auf Druck des Dresdener Ministeriums bald ändern und bereits 1888 wurde die Neugründung einer reprophotographischen Abteilung geplant und ab 1893 aktiv betrieben. Dass der Lichtdruck als das Verfahren, das die größte Originalanmutung besitzt, dabei von Beginn an mitgedacht wurde, zeigt sich in der aktiven Suche nach einem Techniker, der in eben diesem, noch jungem Handwerk, versiert war. Der große, als Prachtband gedruckte Bericht der Akademie von 1890, dem Jahr der Einweihung des neuen Schulgebäudes in der Wächterstraße, nutzte den Lichtdruck für den Abbildungsteil. Mit Ruppert Marchl wurde gemeinsam mit Dr. Georg Aarland, dem Leiter der Abteilung für photomechanische Reproduktionsverfahren, 1891 ein Lichtdrucker eingestellt, der seine Ausbildung in Salzburg erhalten hatte, das damals ein Zentrum der Reproduktionstechnik war. Damit wurde dieses Verfahren selbstverständlicher Bestandteil des Unterrichtes an der Akademie.

Die Bedeutung der Abteilung verstärkte sich nach 1900, als die gesamte Lehre an der Leipziger Akademie auf das Buch ausgerichtet wurde unter dem neuen Namen „Königliche Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe“. Nun wurde die enge Verbindung zwischen Kunst und Handwerk Programm. Der besonders hohe Anteil an handwerklichem Können beim Lichtdruck, das mit einem ausgeprägtem, fast intuitiven Gefühl für den Prozess verbunden ist, wurde sehr wertgeschätzt und dem künstlerischen Erfinden von Bildern gleichgestellt. Im Bericht der Akademie von 1916 wird als eine wesentliche Aufgabe der Akademie die Ausbildung von Reproduktionskünstlern, Fotografen und technischen Leitern von Kunst- und Reproduktionsanstalten benannt. Die Akademie war zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch ein Ort der Bibliophilie, die sich innerhalb der Buchkunstbewegung herausbildete. Ihr eigen sind kleine Auflagen von Druckwerken in hoher Qualität. Damit ergab sich ein Anwendungsgebiet, das für den Lichtdruck nahezu ideal war. Außerdem bot die Akademie, die außerhalb marktwirtschaftlicher Effizienz produzierte, den möglichen Rahmen auch für langsame und durchaus teure Prozesse. Kooperationen mit Verlagen wie dem Inselverlag führten zudem zu außergewöhnlich guten Faksimiles.

Während die Bedeutung der Lehre in der künstlerischen Fotografie nicht den Erwartungen entsprach und nach 1927 sogar für Jahrzehnte ausgesetzt wurde, entwickelte sich die technische fotografische Lehre unter Fritz Götz (1919-1926) zu höchster Blüte und wurde durch Schüler wir Lucia Moholy-Nagy und Walter Peterhanns ins Bauhaus getragen. Diesen Sinnzusammenhang zur modernen Fotografie vollzogen ja auch jüngere Arbeiten der Leipziger Lichtdruckwerkstatt wie die Lichtdruckmappe mit Fotos von Xanty Schawinski nach. Mit der Durchsetzung von Verfahren, die Massenauflagen ermöglichten, änderte sich die Wertschätzung des Bildes als überall verfügbares Informationsmedium. Parallel kommt es zu einer exklusiven Hinwendung zum Original auf dem sich herausbildenden Kunstmarkt. Arbeiten, die die Aura des Originals pflegten, kamen nun durchaus auch bürgerlichen Distinktionsbedürfnissen nach. Der Lichtdruck ermöglichte die höchstnächste Originalanmutung und wurde mit einigen anderen sogenannten Edeldruckverfahren besonders geschätzt. Seine Bedeutung als Kopie, durch das v.a. in Museen die Originale geschützt werden sollen, ist mehrfach beschrieben worden. Aber auch da geht es letztlich um den Wunsch, eine möglichst authentische Aura zu erzeugen, in der Annahme, man habe das Echte vor sich. Auch wenn es nach wie vor Aufträge für Faksimiles gibt, so ist das vermutlich keine Gewähr für die Zukunft des Lichtdrucks, denn digitale Methoden sind auch da eine große Konkurrenz.

Lassen Sie mich kurz zur Akademie, die seit 1950 Hochschule für Grafik und Buchkunst heißt, zurückkehren. Nach dem zweiten Weltkrieg löste sie ihre reprophotographische Abteilung auf, gliederte sie an die Meisterschule für das graphische Gewerbe an und trennte sich auch von den Maschinen. Aktiv wurde der Lichtdruck im Hause nicht mehr betrieben. Aber die Vorzüge des Verfahrens finden sich in Folge vor allem in den Veröffentlichungen des Instituts für Buchgestaltung unter der Leitung von Albert Kapr, hier v.a. in den hervorragenden Faksimiles der Schreibmeisterbücher, die in Kooperation mit dem Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei entstanden. Die älteren von Ihnen werden sich erinnern, dass 1988 (damals gab es noch 12 Betriebe weltweit) in der Galerie der HGB eine Ausstellung zum Lichtdruck stattfand, die auch als Geste der Unterstützung gedacht war, um das grafische Verfahren in der Stadt zu halten. Einer schmalen Publikation war jeweils eine im Lichtdruck vervielfältigte Originalgrafik z.B. von Rolf Münzner beigelegt. Die echte Anmutung war und bleibt verblüffend.

Richard Sennetts Buch „Handwerk“, das 2007 in deutscher Übersetzung erschien, ist auch Ausdruck einer neuen Hinwendung zum Prozess des präzisen menschlichen Arbeitens, das hoch motiviert und ritualisiert stattfindet und in dem Intelligenz, Wahrnehmungsgefühl, Material und Handfertigkeit auf ideale Weise wieder zusammenfinden. Auch wenn hier eine mehr als 100 Jahre alte Idee der Verschmelzung von Kunst und Handwerk wieder aufscheint und eine vielleicht romantische Sehnsucht mitschwingt, ergeben sich aus dieser Sicht neue Impulse. Eine besondere Zukunft des Lichtdrucks kann in seiner künstlerischen Nutzung liegen und wenn Olaf Wegewitz im Zusammenspiel mit den Meistern des Lichtdrucks in Leipzig gerade hier neue Wege gegangen ist, so ist es letztlich ein besonderer Glücksfall für die Technik, die letztlich das Schicksal vieler Reproduktionstechniken (Kupferstich, Holzstich. Lithografie) teilt, die nach ihrem wirtschaftlichen Bedeutungsverlust zum Experimentierfeld der KünstlerInnen wurden und damit sozusagen eine neue Existenz begründeten. Dass der Lichtdruck eigentlich Flachdruckeigenschaften mit feinen skulpturalen Elementen verbindet, dass gerade das Licht, als eine der wichtigsten Kunstmetaphern, hier eine so große Rolle spielt und letztlich auch das organische Material eine eigene sinnliche Ästhetik hat, mag zu der Faszination für KünstlerInnen beitragen. Und natürlich ist es auch die Arbeit mit der verlorenen Form, die kleinen Auflagen, die sich für Editionen besonders gut eignen. Wichtig scheint mir unbedingt der Aspekt des gemeinsamen Arbeitens, der letztlich zu einer Art geteilter Autorenschaft zwischen dem Künstler und dem Drucker führt.